Klinsmann, Rijkaard und die Pampas


Deutschland – Niederlande 2:1 (0:0), Giuseppe-Meazza-Stadion Mailand, WM 1990, Achtelfinale, 24. Juni 1990, ARD-Mediathek

Drei Dinge blieben vom Achtelfinale Deutschland gegen Niederlande bei der WM 1990 in Italien in Erinnerung: die Platzverweise von Rudi Völler und Frank Rijkaard, das überragende Länderspiel von Jürgen Klinsmann und die peinliche TV-Reportage von Heribert Faßbender, der den Schiedsrichter „zurück in die Pampas schicken wollte“. 2:1 gewann Deutschland letztlich verdient. Es war besonders in der zweiten Halbzeit eine überzeugende Leistung. Und spannend war es zudem.

Ältere erinnern sich noch: Es gab Zeiten, da lag eine ganze Nation Jürgen Klinsmann zu Füßen. Bei der WM 1990 zum Beispiel, Deutschland gegen die Niederlande, Achtelfinale: In seiner Wahlheimat Mailand machte der für Inter Mailand kickende Schwabe das Spiel seines Lebens. Nach dem dubiosen Platzverweis von Rudi Völler bildete Klinsmann den Einmann-Sturm und rannte unermüdlich Schneisen in die Oranje-Deckung. Verdienter Lohn war der Treffer zum 1:0 in der 51. Minuten.
Deutschland gegen die Niederlande, in diesen Duellen herrschte zu dieser Zeit eine unglaubliche Rivalität. Es begann mit dem Finale der WM 1974 in München, nach dem sich das Oranje-Team als unverdienter Verlierer fühlte. Bei der EM 1988 gab es im Halbfinale die Revanche, als zwei Tore von Marco Van Besten das deutsche Team aus dem Wettbewerb beförderte. Nach dem Spiel gab es unerfreuliche Szenen, beteiligt unter anderem Hans van Breukelen und Ronald Koeman. Beide Akteure waren 1990 wieder dabei.  
Die WM in Italien war für den amtierenden Europameister ein Flop: Drei Unentschieden in der Vorrunde gegen England, Irland und Ägypten, nur Platz 3 in der Gruppe, in der vorher nur England als ernster Gegner galt – da ging es bereits im Achtelfinale gegen die bei diesem Turnier souveränen Deutschen.  
Es begann giftig: Bereits nach 30 Sekunden schickte Adrie van Tiggelen  Pierre Littbarski auf den Boden. Die deutsche Mannschaft wirkte nervös, die Niederlande hatten zwei Chancen zur Führung durch Aron Winter.

Rijkaard spuckt

Deutschland tat sich schwer und dann kam die 22. Minute: Schiedsrichter Juan Carlos Loustau aus Argentinien schickte Rudi Völler und Frank Rijkaard vom Platz.
Bei den 11 Freunden las sich das im Rückblick so: „Im Grunde ist es eine Abfolge von Szenen, die mit einem Foul von Frank Rijkaard an Rudi Völler im Mittelfeld beginnt. Der Holländer sieht Gelb, bezichtigt den Deutschen einer Schwalbe und spuckt ihm offensichtlich – die Fernsehbilder zeigen dies nicht – zum ersten Mal ins gekräuselte Haupthaar. Völler beschwert sich beim Schiedsrichter und wird ebenfalls verwarnt. Beim folgenden Freistoß stürzt der deutsche Stürmer Hollands Torhüter Hans van Breukelen in der Luft entgegen, er berührt ihn leicht am Fuß, doch das reicht schon, um Rijkaard endgültig aus der Fassung zu bringen. Er packt Völler am Ohr – woraufhin Loustau die Rote Karte zückt: Für Rijkaard und für Völler. Bei seinem Abgang vom Feld spuckt der Holländer Völler dann noch von hinten in die Locken.“
 „Das ist ein Skandal“, empörten sich die Kommentatoren Heribert Faßbender und Karl-Heinz Rummenigge. Beide rätselten, was denn Völler nun gemacht habe.
Das Spiel blieb hart und Rummenigge/Faßbender maulten weiter über den Unparteiischen aus Argentinien: „Nun pfeift er kleinlich, der Herr Loustau“. Es ging richtig zur Sache. Van Tiggelen hielt Klinsmann, es gab keinen Elfmeter. „Ohne Völler spielt Klinsmann besser“, erkannte Rummenigge schon früh.

„Diego“ Buchwald

Klinsmanns nächster großer Auftritt folgte in der 51. Minute: Das 1:0 für Deutschland, Faßbender/Rummenigge jubelten am lautesten. Es war ein wunderbares Tor: Tolle technische Vorarbeit des angeblichen Nichttechnikers Guido Buchwald, Klinsmann vollendete gekonnt. Überhaupt Klinsmann: Er lief und lief und machte das Spiel seines Lebens. Die Fans feierten ihn mit lauten Sprechchören. Und auch Lothar Matthäus war jetzt wie entfesselt, tauchte überall auf und kurbelte das Spiel an. Bei Holland wirkte Marco Van Basten hingegen wie ein Schatten früherer Zeiten, Jürgen Kohler hatte ihn im Griff.
Jetzt war das Achtelfinale dramatisch, es ging hin und her. Auch die Niederlande hatte Chancen. Völlig außer Kontrolle hingegen Reporter Heribert Faßbender. „Schickt ihn ganz schnell in die Pampas, diesen Mann!" beschimpfte er den Schiedsrichter. Matthäus hatte nach dem Pfiff den Ball weggeschossen und tat so, als habe er es nicht gehört. „Das muss man ihm glauben!", so Faßbender.
Irgendwann kam mal ein TV-Verantwortlicher auf die Idee, dass Reporter auch Emotionen zeigen dürfen. Bei Faßbender, dem Mann mit dem markanten Kinnbart, ging das an diesem Abend völlig daneben. Nicht nur, dass er Spieler verwechselte, mancher Kommentar wie dieser war einfach nur peinlich.


Das 2:0 für Deutschland war ein völlig abgezocktes Tor von Andy Brehme, das zur völligen Ekstase bei Zuschauern und Reportern führte. Schiri Loustau pfiff danach noch einen unberechtigten Foulelfmeter, Van Basten ließ sich fallen, 1:2 – Rummenigge und Faßbender zürnten weiter.
Doch Deutschland hielt die Führung, zog ins Viertelfinale ein und wurde später Weltmeister. Rudi Völler wurde nach dem Spiel von Reporter Jörg Wontorra befragt, von Spucken immer noch kein Wort.
„Wie lange lässt sich die Fifa das noch gefallen bei dieser WM“, wetterte Teamchef Franz Beckenbauer nach dem Spiel gewohnt direkt und sprach die Leistungen der Schiedsrichter an. Reinhold Beckmann interviewte devot den Kaiser – damals noch für die ARD.
Die alten Herren der Fifa sperrten dann sowohl Rijkaard als auch Völler. Rudi Völler weiß heute noch nicht warum. Er war dann wieder im Halbfinale dabei und holte im Finale gegen Argentinien den Elfmeter heraus, den Andreas Brehme zum goldenen Tor verwandelte. 




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