Nach diesem Pokal-Krimi kannte jeder Olaf Thon


FC Schalke 04 – FC Bayern München nach Verlängerung 6:6 (2:3, 4:4), Parkstadion Gelsenkirchen, DFB-Pokal Halbfinale, 02.05.1984, ZDF-Mediathek

Es war ein grandioses Spektakel: 6:6 trennten sich 1984 der FC Schalke 04 und der FC Bayern München im Halbfinale des DFB-Pokals. Nur das letzte Drama blieb den Zuschauern erspart: Es gab damals kein Elfmeterschießen im DFB-Pokal. Vielleicht hätte es dann andere Helden gegeben. 
 
Es lief die 120. Minute im Gelsenkirchener Parkstadion und Schalke lag mit 5:6 hinten: Der Ball kam irgendwie zu Olaf Thon, der nahm ihn volley und traf zum 6:6 gegen den FC Bayern München. Es war der krönende Schlusspunkt eines tollen Spiels. Jubelnde Schalker Fans stürmten das Feld und trugen Olaf Thon auf den Schultern. Und mittendrin: ZDF-Tausendsassa Rolf Töpperwien.
Töpperwien ging für ein gutes Interview immer dahin, wo es wehtat – und damals gab es noch keine Interviewzonen. Ob er als Kind in Bayern-Bettwäsche geschlafen habe, fragte der ZDF-Mann mit dem Spürsinn für menschelnde Geschichten. „Stimmt schon“, antwortete Thon, gerade 18 Jahre alt geworden. „Bayern war von früh an mein Lieblingsverein, doch jetzt schieße ich für Schalke meine Tore“. Die Schalker feierten ihn weiter mit lauten Olaf-Sprechchören. 



Fußball konnte zu Beginn der achtziger Jahre eine fade Sache sein. Da gab es diese fürchterliche WM 1982, wo langweilige Defensivtaktiken dominierten. Nicht umsonst wurden die Spielzerstörer aus Italien Weltmeister – und nicht die Ballzauberer aus Brasilien. Einer der schlimmsten deutschen Nationalmannschaften aller Zeiten wurde zudem noch Vizeweltmeister.
Doch dann kam das DFB-Pokal-Halbfinale 1984 – und das brachte auf einmal Entertainment und Spielwitz. Am Dienstag hatte Borussia Mönchengladbach Werder Bremen mit 5:4 nach Verlängerung geschlagen, schon das war ein tolles Spiel. Die Begegnung lief live im TV, was damals nicht selbstverständlich war.
Und auch das Duell Schalke 04 gegen Bayern München übertrug das ZDF mit Kommentator Eberhard Figgemeier. Die Schalker waren im Vorfeld klarer Außenseiter. 1984 spielten die Knappen in der Zweiten Liga; Bernard Dietz, Walter Junghans, Matthias Schipper oder Klaus Täuber waren noch die bekannteren Akteure.
Der FC Bayern wurden 1984 in der Liga nur Vierter, blieben allerdings nur einen Punkt hinter den punktgleichen Stuttgart (Meister wegen der besseren Tordifferenz), Gladbach und dem HSV. Ihr Team war sehr gut besetzt: Jean-Marie Pfaff, Norbert Nachtweih, Klaus Augenthaler, Sören Lerby oder Karl-Heinz Rummenigge, dazu kamen aufstrebende Kräfte wie Hans Pflügler, Reinhold Mathy oder Michael Rummenigge. 

Fünf Tore nach 20 Minuten

Alles schien nach Plan zu laufen: Nach 12 Minuten führten die Gäste 2:0, Michael Rummenigge hatte die Vorarbeit zu den Treffern von Bruder Karl-Heinz und Mathy geliefert. Doch Schalke verkürzte im Gegenzug durch Abwehrspieler Thomas Kruse. Und Kommentator Figgemeier tadelte die gemächliche Spielart der Gäste mit vielen Quer- und Rückpässen. „Eine Untugend der Bayern, die ihnen Udo Lattek noch nicht austreiben konnte.“ Trainer Lattek hatte vor der Saison 1983/84 Pal Csernai abgelöst.
Figgemeiers Kritik bewahrheitete sich, denn es folgte der erste Streich des Olaf Thon. Der gerade dem Schalker Nachwuchs Entwachsene tänzelte Augenthaler aus und traf zum 2:2. „Wenn er auf dem Teppich bleibt, wird er mal ein ganz Großer“, orakelte Figgemeier. 
Die Antwort der Bayern kam postwendend: Michael Rummenigge, so etwas wie der Spieler der ersten 20 Minuten, traf zur erneuten Führung. 3:2 nach 20 Minuten, spektakulärer konnte ein Spiel nicht beginnen.
München versuchte jetzt, das Spiel zu beruhigen. Es wurde ruhiger auf dem Feld, doch Schalke kam mit zunehmender Spieldauer besser auf. Auch weil Klaus Täuber unermüdlich die FCB-Abwehr beschäftigte, Bernd Dierssen antrieb und Olaf Thon als hängende Spitze immer besser wurde. Die Münchner hingegen verloren zunehmend ihre Souveränität.
Dennoch war es erstaunlich ruhig bei strömenden Regen im weiten Rund des ausverkauften Parkstadions. Schalke traf durch Thon und Stichler. Auf einmal stand es 4:3, die Bayern-Deckung patzte erneut. Michael Rummenigge aber glich noch zum 4:4 aus.
Jetzt hieß es Verlängerung – und Bayern hatte mit Dieter Hoeneß für Bernd Dürnberger den Angriff verstärkt. Das Spiel wogte hin und her und wurde ab der 112. Minute hochdramatisch: Erst patzte Schalkes Keeper Junghans und der ältere Hoeneß-Bruder sagte Danke. 

Thon wie eine Schlange

Schalke schlug zurück und Kapitän Bernard Dietz traf zum 5:5. Dietz hielt es schon lange nicht mehr in der Abwehr, der 35-Jährige trieb seine Mannschaft unermüdlich an. Seine Grätschen an diesem Abend waren perfekt.
Zwei Minuten kippte das Spiel erneut, erneut netzte Hoeneß ein. „Das muss die Entscheidung sein“, sagte Figgemeier – und wieder lag er falsch. In allerletzter Minute nahm Olaf Thon (wer sonst) den Ball volley und es stand 6:6. „Mich konnte man an diesem Abend ein­fach nicht zu fassen bekommen. Ich war wie eine Schlange“, sagte Olaf Thon später einmal bei den 11 Freunden und erinnerte sich zudem, dass ihn die Fans noch etwa eine Stunde herumtrugen.
Weil es 1984 noch kein Elfmeterschießen im DFB-Pokal gab, traf man sich zum Wiederholungsspiel in München. Die Bayern siegten mit 3:2, Schalke hatte immerhin einen 0:2-Rückstand egalisiert. Der FC Bayern München wurde dann auch Pokalsieger.
Olaf Thon ging dann später zum FC Bayern. Er wurde Weltmeister, Deutscher Meister und kehrte 1994 zum FC Schalke 04 zurück, wo er 1997 mit den „Eurofightern" den UEFA-Cup holte. Und er weiß auch heute als kicker-Kolumnist und Experte im TV Bescheid – meint er zumindest.     

Das Spiel in der ZDF-Mediathek  

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