Die wundersame Auferstehung des FC Liverpool in Istanbul
AC Mailand – FC Liverpool 3:3 (3:0, 3:3), n. E 2:3, Atatürk Olympia Stadion Istanbul, Champions League Finale 2004/2005, 25.05.2005, DAZN
Zuhause suchte ich schon nach Alternativen zum Fußball. 3:0
führte der AC Mailand nach 45 Minuten im Champions League-Finale 2005 gegen den
FC Liverpool und die zweite Hälfte versprach maximale Langeweile. Drei Tore
gegen diese abgezockten Italiener? Schwer vorstellbar. Ich blieb beim Fußball,
es lohnte sich. Innerhalb von sechs Minuten schoss Liverpool drei Tore, am Ende
siegten die Engländer im Elfmeterschießen. Ein Fußballwunder.
„Ich war leer“ erinnerte sich später Dietmar Hamann in
einem Welt-Interview an die Halbzeitpause. „Ich hatte keine Ahnung oder Idee,
wie wir das Ding noch drehen können. Aber der große Unterschied zu uns Spielern
war der Trainer (Rafael Benitez). Er war weder nervös noch laut.“
Hamann, damals in Diensten des FC
Liverpool, kam nach der Pause für Steve Finnan. Eigentlich sollte Djimi Traoré
raus, doch kann klagte Finnan über Adduktorenprobleme. „Daraufhin fragte ihn
Rafa, wie lange er noch spielen könne und ob es möglicherweise für eine
Verlängerung reichen würde“. Die Antwort war nein – Traoré blieb im Spiel.
Hamann: „Die Tatsache, dass er einen Spieler gefragt hat, ob er noch eine
mögliche Verlängerung durchhalten würde, hatte eine kleine Signalwirkung. ‚Der
Alte glaubt noch, dass wir das packen können‘, dachten sich einige von uns. Das
hat uns gepusht.“
Liverpool war vor der Partie
Außenseiter, der Favorit hieß AC Mailand. Die Italiener, 2004 souverän Champion
der Serie A geworden, hatten eine großartige Mannschaft zu dieser Zeit: Im Tor
stand Dida, in der Abwehr Cafu, Stam, Nesta, Maldini, die Mittelfeldraute
bildeten Pirlo, Seedorf, Gattuso und Kaka und im Angriff wirbelten Crespo und
Shevchenko.
Und in Halbzeit 1 dominierte Milan.
Bereits nach einer Minute war Clublegende Paolo Maldini (damals schon 36) nach
Pirlo-Freistoß erfolgreich. Der FC Liverpool fand hingegen keine Mittel gegen das
spielfreudige und kompakte Milan-Team, zwei weitere grandios heraus gespielte
Tore durch Hernan Crespo brachten das Team von Trainer Carlo Ancelotti 3:0 in
Führung. Die erste Halbzeit war „vielleicht das Beste, was eine Mannschaft von
mir je gespielt hatte“, betonte Ancelotti. „Was dann kam, ist schwer zu
erklären.“
Drei Treffer in sechs Minuten
Denn Liverpool zeigte sich alles andere
als geschlagen. Steven Gerrard verkürzte auf 1:3 (54.), der früh für Harry
Kewell eingewechselte Vladimir Smicer traf nach Hamann-Pass zum 2:3.
Überhaupt „Didi" Hamann: In meinem
Bekanntenkreis führte seine Spielweise oft zu Diskussionen. Einige hielten den
ehemaligen Bayern-Spieler für jemanden, der nur Alibipässe ohne Risiko spielte,
andere wie ich schätzten ihn als Passmaschine, die immer den richtigen Weg fand.
Jedenfalls belebte er das Spiel
ungemein. Nach 60 Minuten verwandelte der damals schon herausragende Xabi
Alonso einen Elfmeter im Nachschuss zum 3:3-Ausgleich. Liverpool hatte das
Spiel innerhalb von sechs Minuten gedreht – die englischen Fans, deutlich in
der Überzahl, feierten die Aufholjagd frenetisch. Manche, die nach dem 0:3 das
Stadion in Istanbul schon verlassen hatten, kehrten zurück.
Beide Teams hatten danach in
verbleibender Spielzeit und Verlängerung ihre Möglichkeiten, die Größte hatte
Milans Andriy Shevchenko in der 118. Minute. Doch zweimal parierte Reds-Keeper
Jerzy Dudek famos, auch später rätselte Shevchenko, wie der polnische
Schlussmann diese Bälle halten konnte.
Dudek wurde zum Helden des Elfmeterschießens. Vor jedem
Elfmeter tänzelte er herum. Hamann blickt zurück: „Jamie Carragher ist vor dem
Elfmeterschießen zu ihm hin und hat ihm von Bruce Grobbelaar erzählt. Der hatte das in den 80er-Jahren mal in einem
Finale gemacht.“ Mit Erfolg: Dudek hielt den entscheidenden Elfmeter von
Shevchenko, der FC Liverpool war Champions League-Sieger.
Eine Million Menschen feierten den Erfolg in Liverpool. Es
war ein Erfolg in einer Zeit, in der andere Klubs in der Premiere League den
Ton angaben. Inzwischen sind die Reds auch dank Trainer Jürgen Klopp wieder ein
Top-Verein.
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